Роман «Чёрный обелиск» (Der schwarze Obelisk) на немецком языке |
Роман «Чёрный обелиск» (Der schwarze Obelisk) на немецком языке – читать онлайн, автор книги – Эрих-Мария Ремарк. Автор таких всемирно известных произведений, как «Три товарища» и «На Западном фронте без перемен», Эрих-Мария Ремарк, написал также много других произведений. Одно из них - «Чёрный обелиск» (Der schwarze Obelisk). Другие романы, повести и рассказы можно читать онлайн в разделе «Книги на немецком», а детская литература есть в разделе «Сказки на немецком». Для тех, кто самостоятельно изучает немецкий язык по фильмам, создан раздел «Фильмы на немецком» (для детей есть раздел «Мультфильмы на немецком»). Для тех, кто хочет учить немецкий язык не только самостоятельно, но и с преподавателем, есть информация на странице «Немецкий по скайпу».
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Der schwarze Obelisk
I. Die Sonne scheint in das Büro der Grabdenkmalsfirma Heinrich Kroll & Söhne. Es ist April 1923, und das Geschäft geht gut. Das Frühjahr hat uns nicht im Stich gelassen, wir verkaufen glänzend und werden arm dadurch, aber was können wir machen – der Tod ist unerbittlich und nicht abzuweisen, und menschliche Trauer verlangt nun einmal nach Monumenten in Sandstein, Marmor und, wenn das Schuldgefühl oder die Erbschaft beträchtlich sind, sogar nach dem kostbaren, schwarzen, schwedischen Granit, allseitig poliert. Herbst und Frühjahr sind die besten Jahreszeiten für die Händler mit den Utensilien der Trauer – dann sterben mehr Menschen als im Sommer und im Winter –; im Herbst, weil die Säfte schwinden, und im Frühjahr, weil sie erwachen und den geschwächten Körper verzehren wie ein zu dicker Docht eine zu dünne Kerze. Das wenigstens behauptet unser rührigster Agent, der Totengräber Liebennann vom Stadtfriedhof, und der muß es wissen; er ist achtzig Jahre alt, hat über zehntausend Leichen eingegraben, sich von seiner Provision an Grabdenkmälern ein Haus am Fluß mit einem Garten und einer Forellenzucht gekauft und ist durch seinen Beruf ein abgeklärter Schnapstrinker geworden. Das einzige, was er haßt, ist das Krematorium der Stadt. Es ist unlautere Konkurrenz. Wir mögen es auch nicht. An Urnen ist nichts zu verdienen. Ich sehe auf die Uhr. Es ist kurz vor Mittag, und da heute Sonnabend ist, mache ich Schluß. Ich stülpe den Blechdeckel auf die Schreibmaschine, trage den Vervielfältigungsapparat «Presto» hinter den Vorhang, räume die Steinproben beiseite und nehme die photographischen Abzüge von Kriegerdenkmälern und künstlerischem Grabschmuck aus dem Fixierbad. Ich bin nicht nur Reklamechef, Zeichner und Buchhalter der Firma; ich bin seit einem Jahr auch ihr einziger Büroangestellter und als solcher nicht einmal vom Fach. Genießerisch hole ich eine Zigarre aus der Schublade. Es ist eine schwarze Brasil. Der Reisende für die Württembergische Metallwarenfabrik hat sie mir am Morgen gegeben, um hinterher zu versuchen, mir einen Posten Bronzekränze anzudrehen; die Zigarre ist also gut. Ich suche nach Streichhölzern, aber, wie fast immer, sind sie verlegt. Zum Glück brennt ein kleines Feuer im Ofen. Ich rolle einen Zehnmarkschein zusammen, halte ihn in die Glut und zünde mir damit die Zigarre an. Das Feuer im Ofen ist Ende April eigentlich nicht mehr nötig; es ist nur ein Verkaufseinfall meines Arbeitgebers Georg Kroll. Er glaubt, daß Leute in Trauer, die Geld ausgeben müssen, das lieber in einem warmen Zimmer tun, als wenn sie frieren. Trauer sei bereits ein Frieren der Seele, und wenn dazu noch kalte Füße kämen, sei es schwer, einen guten Preis herauszuholen. Wärme taue auf; auch den Geldbeutel. Deshalb ist unser Büro überheizt, und unsere Vertreter haben als obersten Grundsatz eingepaukt bekommen, nie bei kaltem Wetter oder Regen zu versuchen, auf dem Friedhof einen Abschluß zu machen – immer nur in der warmen Bude und, wenn möglich, nach dem Essen. Trauer, Kälte und Hunger sind schlechte Geschäftspartner. Ich werfe den Rest des Zehnmarkscheins in den Ofen und richte mich auf. Im selben Moment höre ich, wie im Hause gegenüber ein Fenster aufgestoßen wird. Ich brauche nicht hinzusehen, um zu wissen, was los ist. Vorsichtig beuge ich mich über den Tisch, als hätte ich noch etwas an der Schreibmaschine zu tun. Dabei schiele ich verstohlen in einen kleinen Handspiegel, den ich so gestellt habe, daß ich das Fenster beobachten kann. Es ist, wie immer, Lisa, die Frau des Pferdeschlächters Watzek, die nackt dort steht und gähnt und sich reckt. Sie ist erst jetzt aufgestanden. Die Straße ist alt und schmal, Lisa kann uns sehen und wir sie, und sie weiß es; deshalb steht sie da. Plötzlich verzieht sie ihren großen Mund, lacht mit allen Zähnen und zeigt auf den Spiegel. Sie hat ihn mit ihren Raubvogelaugen entdeckt. Ich ärgere mich, erwischt zu sein, benehme mich aber, als merke ich nichts und gehe in einer Rauchwolke in den Hintergrund des Zimmers. Nach einer Weile komme ich zurück. Lisa grinst. Ich blicke hinaus, aber ich sehe sie nicht an, sondern tue, als winke ich jemand auf der Straße zu. Zum Überfluß werfe ich noch eine Kußhand ins Leere. Lisa fällt darauf herein. Sie ist neugierig und beugt sich vor, um nachzuschauen, wer da sei. Niemand ist da. Jetzt grinse ich. Sie deutet ärgerlich mit dem Finger auf die Stirn und verschwindet. Ich weiß eigentlich nicht, warum ich diese Komödie aufführe. Lisa ist das, was man ein Prachtweib nennt, und ich kenne einen Haufen Leute, die gern ein paar Millionen zahlen würden, um jeden Morgen einen solchen Anblick zu genießen. Ich genieße ihn auch, aber trotzdem reizt er mich, weil diese faule Kröte, die erst mittags aus dem Bett klettert, ihrer Wirkung so unverschämt sicher ist. Sie kommt gar nicht auf den Gedanken, daß nicht jeder sofort mit ihr schlafen möchte. Dabei ist ihr das im Grunde ziemlich gleichgültig. Sie steht am Fenster mit ihrer schwarzen Ponyfrisur und ihrer frechen Nase und schwenkt ein Paar Brüste aus erstklassigem Carrara-Marmor herum wie eine Tante vor einem Säugling eine Spielzeugklapper. Wenn sie ein Paar Luftballons hätte, würde sie fröhlich die hinaushalten. Da sie nackt ist, sind es eben ihre Brüste, das ist ihr völlig egal. Sie freut sich ganz einfach darüber, daß sie lebt und daß alle Männer verrückt nach ihr sein müssen, und dann vergißt sie es und fällt mit ihrem gefräßigen Mund über ihr Frühstück her. Der Pferdeschlächter Watzek tötet inzwischen müde, alte Droschkengäule. Lisa erscheint aufs neue. Sie trägt jetzt einen ansteckbaren Schnurrbart und ist außer sich über diesen geistvollen Einfall. Sie grüßt militärisch, und ich nehme schon an, daß sie so unverschämt ist, damit den alten Feldwebel a. D. Knopf von nebenan zu meinen; dann aber erinnere ich mich, daß Knopfs Schlafzimmer nur ein Fenster nach dem Hof hat. Und Lisa ist raffiniert genug, zu wissen, daß man sie von den paar Nebenhäusern nicht beobachten kann. Plötzlich, als brächen irgendwo Schalldämme, beginnen die Glocken der Marienkirche zu läuten. Die Kirche steht am Ende der Gasse, und die Schläge dröhnen, als fielen sie vom Himmel direkt ins Zimmer. Gleichzeitig sehe ich vor dem zweiten Bürofenster, das nach dem Hof geht, wie eine geisterhafte Melone den kahlen Schädel meines Arbeitgebers vorübergleiten. Lisa macht eine rüpelhafte Gebärde und schließt ihr Fenster. Die tägliche Versuchung des heiligen Antonius ist wieder einmal überstanden. Georg Kroll ist knapp vierzig Jahre alt; aber sein Kopf glänzt bereits wie die Kegelbahn im Gartenrestaurant Boll. Er glänzt, seit ich ihn kenne, und das ist jetzt über fünf Jahre her. Er glänzt so, daß im Schützengraben, wo wir im selben Regiment waren, ein Extrabefehl bestand, daß Georg auch bei ruhigster Front seinen Stahlhelm aufbehalten müsse – so sehr hätte seine Glatze selbst den sanftmütigsten Gegner verlockt, durch einen Schuß festzustellen, ob sie ein riesiger Billardball sei oder nicht. Ich reiße die Knochen zusammen und melde: «Hauptquartier der Firma Kroll und Söhne! Stab bei Feindbeobachtung. Verdächtige Truppenbewegungen im Bezirk des Pferdeschlächters Watzek.» «Aha!» sagt Georg. «Lisa bei der Morgengymnastik. Rühren Sie, Gefreiter Bodmer! Warum tragen Sie vormittags keine Scheuklappen wie das Paukenpferd einer Kavalleriekapelle und schützen so Ihre Tugend? Kennen Sie die drei kostbarsten Dinge des Lebens nicht?» «Wie soll ich sie kennen, Herr Oberstaatsanwalt, wenn ich das Leben selbst noch suche?» «Tugend, Einfalt und Jugend», dekretiert Georg. «Einmal verloren, nie wieder zu gewinnen! Und was ist hoffnungsloser als Erfahrung. Alter und kahle Intelligenz?» «Armut, Krankheit und Einsamkeit», erwidere ich und rühre. «Das sind nur andere Namen für Erfahrung, Alter und mißleitete Intelligenz.» Georg nimmt mir die Zigarre aus dem Mund, betrachtet sie kurz und bestimmt sie wie ein Sammler einen Schmetterling. «Beute von der Metallwarenfabrik.» Er zieht eine schöne angerauchte, goldbraune Meerschaumspitze aus der Tasche, paßt die Brasil hinein und raucht sie weiter. «Ich habe nichts gegen die Beschlagnahme der Zigarre», sage ich. «Es ist rohe Gewalt, und mehr kennst du ehemaliger Unteroffizier ja nicht vom Leben. Aber wozu die Zigarrenspitze? Ich bin kein Syphilitiker.» «Und ich kein Homosexueller.» «Georg», sage ich. «Im Kriege hast du mit meinem Löffel Erbsensuppe gegessen, wenn ich sie in der Küche gestohlen hatte. Und der Löffel wurde in meinen schmutzigen Stiefeln aufbewahrt und nie gewaschen.» Georg betrachtet die Asche der Brasil. Sie ist schneeweiß. «Der Krieg ist viereinhalb Jahre vorbei», doziert er. «Damals sind wir durch maßloses Unglück zu Menschen geworden. Heute hat uns die schamlose Jagd nach Besitz aufs neue zu Räubern gemacht. Um das zu tarnen, brauchen wir wieder den Firnis gewisser Manieren. Ergo! Aber hast du nicht noch eine zweite Brasil? Die Metallwarenfabrik versucht Angestellte nie mit einer einzigen zu bestechen.» Ich hole die zweite Zigarre aus der Schublade und gebe sie ihm. «Intelligenz, Erfahrung und Alter scheinen doch für etwas gut zu sein», sage ich. Er grinst und händigt mir dafür eine Schachtel Zigaretten aus, in der sechs fehlen. «War sonst was los?» fragt er. «Nichts. Keine Kunden. Aber ich muß dringend um eine Gehaltserhöhung ersuchen.» «Schon wieder? Du hast doch erst gestern eine gehabt!» «Nicht gestern. Heute morgen um neun. Lumpige achttausend Mark. Immerhin, heute morgen um neun war das wenigstens noch etwas. Inzwischen ist der neue Dollarkurs herausgekommen, und ich kann nun statt einer neuen Krawatte nur noch eine Flasche billigen Wein dafür kaufen. Ich brauche aber eine Krawatte.» «Wie steht der Dollar jetzt?» «Heute mittag sechsunddreißigtausend Mark. Heute morgen waren es noch dreißigtausend. Georg Kroll besieht seine Zigarre. «Sechsunddreißigtausend! Das geht ja wie das Katzenrammeln! Wo soll das enden?» «In einer allgemeinen Pleite, Herr Feldmarschall», erwidere ich. «Inzwischen aber müssen wir leben. Hast du Geld mitge-bracht?» «Nur einen kleinen Handkoffer voll für heute und morgen. Tausender, Zehntausender, sogar noch ein paar Pakete mit lieben, alten Hundertern. Etwa fünf Pfund Papiergeld. Die Inflation geht ja jetzt so schnell, daß die Reichsbank mit dem Drucken nicht mehr nachkommt. Die neuen Hunderttausendernoten sind erst seit vierzehn Tagen raus – und jetzt müssen bald schon Millionenscheine gedruckt werden. Wann sind wir in den Milliarden?» «Wenn es so weitergeht, in ein paar Monaten.» «Mein Gott!» seufzt Georg. «Wo sind die schönen ruhigen Zeiten von 1922? Da stieg der Dollar in einem Jahr nur von zweihundertfünfzig auf zehntausend. Ganz zu schweigen von 1921 – da waren es nur lumpige dreihundert Prozent.» Ich sehe aus dem Fenster, das zur Straße hinausgeht. Lisa trägt jetzt einen seidenen Schlafrock, mit Papageien bedruckt. Sie hat einen Spiegel an die Fensterklinke gehängt und bürstet ihre Mähne. «Sieh das da an», sage ich bitter. «Es sät nicht, es erntet nicht, und der himmlische Vater ernährt es doch. Den Schlafrock hatte sie gestern noch nicht. Seide, meterweise! Und ich kann nicht den Zaster für eine Krawatte zusammenkriegen.» Georg schmunzelt: «Du bist eben ein schlichtes Opfer der Zeit. Lisa dagegen schwimmt mit vollen Segeln auf den Wogen der deutschen Inflation. Sie ist die Schöne Helena der Schieber. Mit Grabsteinen kann man nun mal nicht reich werden, mein Sohn. Warum gehst du nicht in die Heringsbranche oder in den Aktienhandel, wie dein Freund Willy?» «Weil ich ein sentimentaler Philosoph bin und den Grabsteinen treu bleibe. Also wie ist es mit der Gehaltserhöhung? Auch Philosophen brauchen einen bescheidenen Aufwand an Garderobe.» «Kannst du den Schlips nicht morgen kaufen?» «Morgen ist Sonntag. Und morgen brauche ich ihn.» Georg holt vom Vorplatz den Koffer mit Geld herein. Er greift hinein und wirft mir zwei Pakete zu. «Reicht das?» Ich sehe, daß es meistens Hunderter sind. «Gib ein halbes Kilo mehr von dem Tapetenpapier», sage ich. «Das hier sind höchstens fünftausend. Katholische Schieber legen das sonntags als Meßpfennig auf den Teller und schämen sich, weil sie so geizig sind.» Georg kratzt sich den kahlen Schädel – eine atavistische Geste, ohne Sinn bei ihm. Dann reicht er mir einen dritten Packen. «Gott sei Dank, daß morgen Sonntag ist», sagt er. «Da gibt es keine Dollarkurse. Einen Tag in der Woche steht die Inflation still. Gott hat das sicher nicht so gemeint, als er den Sonntag schuf.» «Wie ist es eigentlich mit uns?» frage ich. «Sind wir pleite, oder geht es uns glänzend?» Georg tut einen langen Zug aus seiner Meerschaumspitze. «Ich glaube, das weiß heute keiner mehr von sich in Deutschland. Nicht einmal der göttliche Stinnes. Die Sparer sind natürlich alle pleite. Die Arbeiter und Gehaltsempfänger auch. Von den kleinen Geschäftsleuten die meisten, ohne es zu wissen. Wirklich glänzend geht es nur den Leuten mit Devisen, Aktien oder großen Sachwerten. Also nicht uns. Genügt das zu deiner Erleuchtung?» «Sachwerte!» Ich sehe hinaus in den Garten, in dem unser Lager steht. «Wir haben wahrhaftig nicht mehr allzu viele. Hauptsächlich Sandstein und gegossenes Zeug. Aber wenig Marmor und Granit. Und das bißchen, was wir haben, verkauft uns dein Bruder mit Verlust. Am besten wäre es, wir verkauften gar nichts, was?» Georg braucht nicht zu antworten. Eine Fahrradglocke erklingt draußen. Schritte kommen über die alten Stufen. Jemand hustet rechthaberisch. Es ist das Sorgenkind des Hauses, Heinrich Kroll junior, der zweite Inhaber der Firma. Er ist ein kleiner, korpulenter Mann mit einem strohigen Schnurrbart und staubigen, gestreiften Hosen, die durch Radfahr-klammern unten zusammengehalten werden. Mit leichter Miß-billigung streifen seine Augen Georg und mich. Wir sind für ihn die Bürohengste, die den ganzen Tag herumbummeln, während er der Mann der Tat ist, der den Außendienst betreut. Er ist können.unverwüstlich. Mit dem Morgengrauen zieht er jeden Tag zum Bahnhof und dann mit dem Fahrrad auf die entlegensten Dörfer, wenn unsere Agenten, die Totengräber oder Lehrer, eine Leiche gemeldet haben. Er ist nicht ungeschickt. Seine Korpulenz ist vertrauenswürdig; deshalb hält er sie durch fleißige Früh- und Dämmerschoppen auf der Höhe. Bauern haben kleine Dicke lieber als verhungert aussehende Dünne. Dazu kommt sein Anzug. Er trägt nicht, wie die Konkurrenz bei Steinmeyer, einen schwarzen Gehrock; auch nicht, wie die Reisenden von Hollmann und Klotz, blaue Straßenanzüge – das eine ist zu deutlich, das andere zu unbeteiligt. Heinrich Kroll trägt den kleinen Besuchsanzug, gestreifte Hose mit Marengo-Jackett, dazu einen altmodischen, harten Stehkragen mit Ecken und eine gedämpfte Krawatte mit viel Schwarz darin. Er hat vor zwei Jahren einen Augenblick geschwankt, als er dieses Kostüm bestellte; er überlegte, ob ein Cutaway nicht passender für ihn wäre, entschied sich dann aber dagegen, weil er zu klein ist. Es war ein glücklicher Verzicht; auch Napoleon hätte lächerlich in einem Schwalbenschwanz ausgesehen. So, in der heutigen Aufmachung, wirkt Heinrich Kroll wie ein kleiner Empfangschef des lieben Gottes – und das ist genau, wie es sein soll. Die Radfahrklammern geben dem Ganzen noch einen heimeligen, aber raffinierten Zug – von Leuten, die sie tragen, glaubt man, im Zeitalter des Autos billiger kaufen zu Heinrich legt seinen Hut ab und wischt sich mit dem Taschen-tuch über die Stirn. Es ist draußen ziemlich kühl, und er schwitzt nicht; er tut es nur, um uns zu zeigen, was für ein Schwerarbeiter er gegen uns Schreibtischwanzen ist. «Ich habe das Kreuzdenkmal verkauft», sagte er mit gespielter Bescheidenheit, hinter der ein gewaltiger Triumph schweigend brüllt. «Welches? Das kleine aus Marmor?» frage ich hoffnungsvoll. «Das große», erwidert er noch schlichter und starrt mich an. «Was? Das aus schwedischem Granit mit dem Doppelsockel und den Bronzeketten?» «Das! Oder haben wir noch ein anderes?» Heinrich genießt deutlich seine blöde Frage als einen Höhe-punkt sarkastischen Humors. «Nein», sage ich. «Wir haben kein anderes mehr. Das ist ja das Elend! Es war das letzte. Der Felsen von Gibraltar.» «Wie hoch hast du verkauft?» fragt jetzt Georg Kroll. Heinrich reckt sich. «Für dreiviertel Millionen, ohne Inschrift, ohne Fracht und ohne Einfassung. Die kommen noch dazu.» «Großer Gott!» sagen Georg und ich gleichzeitig. Heinrich spendet uns einen Blick voll Arroganz; tote Schell-fische haben manchmal so einen Ausdruck. «Es war ein schwerer Kampf», erklärt er und setzt aus irgendeinem Grunde seinen Hut wieder auf. «Ich wollte, Sie hätten ihn verloren», erwidere ich. «Was?» «Verloren! Den Kampf!» «Was?» wiederholt Heinrich gereizt. Ich irritiere ihn leicht. «Er wollte, du hättest nicht verkauft», sagt Georg Kroll. «Was? Was soll denn das nun wieder heißen? Verdammt noch mal, man plagt sich von morgens bis abends und verkauft glänzend, und dann wird man als Lohn in dieser Bude mit Vorwürfen empfangen! Geht mal selber auf die Dörfer und versucht» «Heinrich», unterbricht Georg ihn milde. «Wir wissen, daß du dich schindest. Aber wir leben heute in einer Zeit, wo Verkaufen arm macht. Wir haben seit Jahren eine Inflation. Seit dem Kriege, Heinrich. Dieses Jahr aber ist die Inflation in galoppierende Schwindsucht verfallen. Deshalb bedeuten Zahlen nichts mehr.» Das weiß ich selbst. Ich bin kein Idiot.» Niemand antwortet darauf etwas. Nur Idioten machen solche Feststellungen. Und denen zu widersprechen ist zwecklos. Ich weiß das von meinen Sonntagen in der Irrenanstalt. Heinrich zieht ein Notizbuch hervor. «Das Kreuzdenkmal hat uns im Einkauf fünfzigtausend gekostet. Da sollte man meinen, daß dreiviertel Millionen ein ganz netter Profit wären.» Er plätschert wieder in Sarkasmus. Er glaubt, er müsse ihn bei mir anwenden, weil ich einmal Schulmeister gewesen bin. Ich war das kurz nach dem Kriege, in einem verlassenen Heidedorf, für neun Monate, bis ich entfloh, die Wintereinsamkeit wie einen heulenden Hund auf den Fersen. «Es wäre ein noch größerer Profit, wenn Sie statt des herrlichen Kreuzdenkmals den verdammten Obelisken draußen vor dem Fenster verkauft hätten», sage ich. «Den hat Ihr verstorbener Herr Vater vor sechzig Jahren bei der Gründung des Geschäftes noch billiger eingekauft – für so etwas wie fünfzig Mark, der Überlieferung zufolge.» «Den Obelisken? Was hat der Obelisk mit diesem Geschäft zu tun? Der Obelisk ist unverkäuflich, das weiß jedes Kind.» «Eben deshalb», sage ich. «Um den wäre es nicht schade gewesen. Um das Kreuz ist es schade. Das müssen wir für teures Geld wiederkaufen.» Heinrich Kroll schnauft kurz. Er hat Polypen in seiner dicken Nase und schwillt leicht an. «Wollen Sie mir vielleicht erzählen, daß ein Kreuzdenkmal heute dreiviertel Millionen im Einkauf kostet?» «Das werden wir bald erfahren», sagt Georg Kroll. «Riesenfeld kommt morgen hier an. Wir müssen bei den Odenwälder Granitwerken neu bestellen; es ist nicht mehr viel auf Lager.» «Wir haben noch den Obelisken», erkläre ich tückisch. «Warum verkaufen Sie den nicht selber?» schnappt Heinrich. «So, Riesenfeld kommt morgen; da werde ich hierbleiben und auch mal mit ihm reden! Dann werden wir sehen, was Preise sind!» Georg und ich wechseln einen Blick. Wir wissen, daß wir Heinrich von Riesenfeld fernhalten werden, selbst wenn wir ihn besoffen machen oder ihm Rizinusöl in seinen Sonntagsfrühschoppen mischen müssen. Der treue, altmodische Geschäftsmann würde Riesenfeld zu Tode langweilen mit Kriegserinnerungen und Geschichten aus der guten alten Zeit, als eine Mark noch eine Mark und die Treue das Mark der Ehre war, wie unser geliebter Feldmarschall so treffend geäußert hat. Heinrich hält große Stükke auf solche Plattitüden; Riesenfeld nicht. Riesenfeld hält Treue für das, was man von anderen verlangt, wenn es nachteilig für sie ist – und von sich selbst, wenn man Vorteile davon hat. «Preise wechseln jeden Tag», sagt Georg. «Da ist nichts zu besprechen.» «So? Glaubst du vielleicht auch, daß ich zu billig verkauft habe?» «Das kommt darauf an. Hast du Geld mitgebracht?» Heinrich starrt Georg an. «Mitgebracht? Was ist denn das nun wieder? Wie kann ich Geld mitbringen, wenn wir noch nicht geliefert haben? Das ist doch unmöglich!» «Das ist nicht unmöglich», erwidere ich. «Es ist im Gegenteil heute recht gebräuchlich. Man nennt das Vorauszahlung.» «Vorauszahlung!» Heinrichs dicker Zinken zuckt verächtlich. «Was verstehen Sie Schulmeister davon? Wie kann man in unserem Geschäft Vorauszahlungen verlangen? Von den trauernden Hinterbliebenen, wenn die Kränze auf dem Grab noch nicht verwelkt sind? Wollen Sie da Geld verlangen für etwas, was noch nicht geliefert ist?» «Natürlich! Wann sonst? Dann sind sie schwach und rücken es leichter heraus.» «Dann sind sie schwach? Haben Sie eine Ahnung! Dann sind sie härter als Stahl! Nach all den Unkosten für den Arzt, den Sarg, den Pastor, das Grab, die Blumen, den Totenschmaus – da kriegen Sie keine zehntausend Vorauszahlung, junger Mann! Die Leute müssen sich erst erholen! Und sie müssen das, was sie bestellen, erst auf dem Friedhof stehen sehen, ehe sie zahlen, und nicht nur auf dem Papier im Katalog, selbst wenn er von Ihnen gezeichnet ist, mit chinesischer Tusche und echtem Blattgold für die Inschriften und ein paar trauernden Hinterbliebenen als Zugabe.» Wieder eine der persönlichen Entgleisungen Heinrichs! Ich beachte sie nicht. Es ist wahr, ich habe die Grabdenkmäler für unsern Katalog nicht nur gezeichnet und auf dem Presto-Apparat vervielfältigt, sondern sie auch, um die Wirkung zu erhöhen, bemalt und mit Atmosphäre versehen, mit Trauerweiden, Stiefmütterchenbeeten, Zypressen und Witwen in Trauerschleiern, die die Blumen begießen. Die Konkurrenz starb fast vor Neid, als wir mit dieser Neuigkeit herauskamen; sie hatte weiter nichts als einfache Lagerphotographien, und auch Heinrich fand die Idee damals großartig, besonders die Anwendung des Blattgoldes. Um den Effekt völlig natürlich zu machen, hatte ich nämlich die gezeichneten und gemalten Grabsteine mit Inschriften aus in Firnis aufgelöstem Blattgold geschmückt. Ich verlebte eine köstliche Zeit dabei; jeden Menschen, den ich nicht leiden konnte, ließ ich sterben und malte ihm seinen Grabstein – meinem Unteroffizier aus der Rekrutenzeit, der heute noch fröhlich lebt, zum Beispiel: Hier ruht nach langem, unendlich qualvollem Leiden, nachdem ihm alle seine Lieben in den Tod vorausgegangen sind, der Schutzmann Karl Flümer. Das war nicht ohne Berechtigung – der Mann hatte mich stark geschunden und mich im Felde zweimal auf Patrouillen geschickt, von denen ich nur durch Zufall lebendig zurückgekommen war. Da konnte man ihm schon allerhand wünschen! «Herr Kroll», sage ich, «erlauben Sie, daß wir Ihnen noch einmal kurz die Zeit erklären. Die Grundsätze, mit denen Sie aufgewachsen sind, sind edel, aber sie führen heute zum Bankrott. Geld verdienen kann jetzt jeder; es wertbeständig halten fast keiner. Das Wichtige ist nicht, zu verkaufen, sondern einzukaufen und so rasch wie möglich bezahlt zu werden. Wir leben im Zeitalter der Sachwerte. Geld ist eine Illusion; jeder weiß es, aber viele glauben es trotzdem noch nicht. Solange das so ist, geht die Inflation weiter, bis das absolute Nichts erreicht ist. Der Mensch lebt zu 75 Prozent von seiner Phantasie und nur zu 25 Prozent von Tatsachen – das ist seine Stärke und seine Schwäche, und deshalb findet dieser Hexentanz der Zahlen immer noch Gewinner und Verlierer. Wir wissen, daß wir keine absoluten Gewinner sein können; wir möchten aber auch nicht ganz zu den Verlierern zählen. Die dreiviertel Million, für die Sie heute verkauft haben, ist, wenn sie erst in zwei Monaten bezahlt wird, nicht mehr wert als heute fünfzigtausend Mark. Deshalb –» Heinrich ist dunkelrot angeschwollen. Jetzt unterbricht er mich. «Ich bin kein Idiot», erklärt er zum zweiten Male. «Und Sie brauchen mir keine solchen albernen Vorträge zu halten. Ich weiß mehr vom praktischen Leben als Sie. Und ich will lieber in Ehren untergehen als zu fragwürdigen Schiebermethoden greifen, um zu existieren. Solange ich Verkaufsleiter der Firma bin, wird das Geschäft im alten, anständigen Sinne weitergeführt, und damit basta! Ich weiß, was ich weiß, und damit ist es bis jetzt gegangen, und so wird es weitergehen! Ekelhaft, einem die Freude an einem gelungenen Geschäft so verderben zu wollen! Warum sind Sie nicht Arschpauker geblieben?» Er greift nach seinem Hut und wirft die Tür schmetternd hinter sich zu. Wir sehen ihn auf seinen stämmigen X-Beinen über den Hof stampfen, halbmilitärisch mit seinen Radfahrklammern. Er ist im Abmarsch zu seinem Stammtisch in der Gastwirtschaft Blume. «Freude am Geschäft will er haben, dieser bürgerliche Sadist», sage ich ärgerlich. «Auch das noch! Wie kann man unser Geschäft anders als mit frommem Zynismus betreiben, wenn man seine Seele bewahren will? Dieser Heuchler aber will Freude am Schacher mit Toten haben und hält das noch für sein angestammtes Recht!» Georg lacht. «Nimm dein Geld und laß uns auch aufbrechen! Wolltest du dir nicht noch eine Krawatte kaufen? Vorwärts damit! Heute gibt es keine Gehaltserhöhungen mehr!» Er nimmt den Koffer mit dem Geld und stellt ihn achtlos in das Zimmer neben dem Büro, wo er schläft. Ich verstaue meine Packen in einer Tüte mit der Aufschrift: Konditorei Keller – feinste Backwaren, Lieferung auch ins Haus. «Kommt Riesenfeld tatsächlich?» frage ich. «Ja, er hat telegraphiert.» «Was will er? Geld? Oder verkaufen?» «Das werden wir sehen», sagt Georg und schließt das Büro ab.
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