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Рассказ «Медные буки» (Das Haus ›Zu den Blutbuchen‹) на немецком языке – читать онлайн

Детективный рассказ «Медные буки» (Das Haus ›Zu den Blutbuchen‹) на немецком языке – читать онлайн, автор – Артур Конан Дойль. Рассказ «Медные буки» (Das Haus ›Zu den Blutbuchen‹) завершает сборник Артура Конан Дойля «Приключения Шерлока Холмса» (эти рассказы о знаменитом лондонском сыщике стали весьма популярными среди читателей разных стран, и были переведены на многие самые распространённые языки мира).

Остальные повести и рассказы, которые написал британский писатель Артур Конан Дойль, а также различные литературные произведения других известных писателей вы найдёте в разделе «Книги на немецком языке». Для детей и для начинающих создан раздел «Сказки на немецком».

Для тех, кто самостоятельно изучает немецкий по фильмам, создан раздел «Фильмы на немецком языке», а детей заинтересует раздел «Мультфильмы на немецком».

Для тех, кто хочет учить немецкий язык не только самостоятельно, но и с преподавателем, есть информация на странице «Немецкий по скайпу».

 

Теперь переходим к чтению рассказа «Медные буки» (Das Haus ›Zu den Blutbuchen‹) на немецком языке, автор книги – Артур Конан Дойль.

 

Das Haus ›Zu den Blutbuchen‹

 

"Für Leute, welche die Kunst um ihrer selbst willen lieben", bemerkte Holmes und warf die Annoncenseite des ›Daily Telegraph‹ beiseite, "wird sie oft mit ihren unwichtigsten und schwächlichsten Inhalten zur Quelle des lebhaftesten Vergnügens. Ich meinerseits beobachte mit Vergnügen, Watson, daß Sie diese Wahrheit insoweit begriffen haben, als Sie für die kleinen Berichte, die Sie die Freundlichkeit haben, aufzuzeichnen, und die Sie, das sei hinzugefügt, gelegentlich ausschmücken, den Vorzug nicht so sehr der Vielzahl der causes celebres und Sensationsfälle, in denen ich mitspielte, geben, sondern eher die in sich trivialen Vorkommnisse mitteilen, die Ihnen bessere Möglichkeiten zur Darstellung meines Spezialgebiets, des Deduzierens und logischen Synthetisierens, einräumen."

"Und doch", sagte ich lächelnd, "kann ich mich nicht von der Anklage der Sensationsschreiberei losgesprochen sehen, die gegen meine Berichte erhoben wurde."

"Sie sind vielleicht zu weit gegangen", bemerkte er, nahm ein Stückchen glühender Holzkohle mit der Feuerzange auf und setzte damit den Tabak in der langen Kirschholzpfeife in Brand, die für gewöhnlich den Platz der Tonpfeife einnahm, wenn ihm der Sinn eher nach Disput als nach Meditation stand. "Sie sind vielleicht zu weit gegangen, indem Sie versuchten, Farbe und Leben in die Berichte zu bringen, anstatt sich auf die Aufgabe zu beschränken, den strengen Schluß von der Ursache zur Wirkung darzulegen, was das einzig Wesentliche an der Sache ist."

"Mir scheint, in dieser Hinsicht habe ich Ihnen immer volle Gerechtigkeit widerfahren lassen", bemerkte ich ziemlich kalt, denn ich fühlte mich von seiner Ichbezogenheit abgestoßen, etwas, das mir schon oft als ein starker Faktor in dem außergewöhnlichen Charakter meines Freundes aufgefallen war. "Nein, ich sage das nicht aus Selbstsucht oder Eigendünkel", erwiderte er und beantwortete so wie meist eher meine Gedanken als meine Worte. "Wenn ich volle Gerechtigkeit für meine Kunst fordere, so nur, weil sie eine unpersönliche Sache ist - etwas, das jenseits meiner Person liegt. Verbrechen ist alltäglich. Logik ist selten. Deshalb sollten Sie lieber bei der Logik als beim Verbrechen verweilen. Sie haben, was eine Folge von Lehrbeispielen hätte sein können, zu einer Serie von Geschichten degradiert."

Es war ein kalter Morgen im Vorfrühling, und wir saßen nach dem Frühstück vor einem Holzfeuer in dem alten Zimmer in der Baker Street. Dichter Nebel braute zwischen den Zeilen schwärzlicher Häuser und die gegenüberliegenden Fenster wirkten durch die lastenden Schwaden wie dunkle, gestaltlose Flecken. Unser Gaslicht beschien das weiße Tischtuch und ließ Porzellan und Metall aufschimmern, das Geschirr war noch nicht abgeräumt. Sherlock Holmes war den ganzen Morgen über schweigsam gewesen, hatte lange vertieft in den Anzeigenseiten gelesen, doch seine Suche schließlich aufgegeben und mir dann in nicht gerade freundlicher Laune eine Lektion über meine literarischen Unzulänglichkeiten gehalten.

"Außerdem", warf er nach einer langen Pause hin, in der er nur an seiner langen Pfeife gepafft und in das Feuer geblickt hatte, "kann man Sie wirklich nicht wegen Sensationslust tadeln, denn unter den Fällen, denen Sie freundlicherweise Ihr Interesse zuwandten, sind eine ganze Reihe Vorkommnisse, die vom gesetzlichen Standpunkt gar nicht Verbrechen genannt werden können. Die unbedeutende Angelegenheit, in der ich versuchte, dem König von Bohemia zu helfen, die bemerkenswerten Erlebnisse der Miss Mary Sutherland, das Problem des Mannes mit dem schiefen Mund und die Sache, die dem adligen Junggesellen widerfuhr, all das lag innerhalb der Gesetzesgrenzen. Aber ich fürchte, daß Sie, indem Sie die Sensationen vermieden, der Trivialität nahegekommen sind."

"Das mag das Ergebnis sein", antwortete ich. "Aber die Methoden, an die ich mich halte, sind neu und interessant." "Pah, mein lieber Junge, was schert sich die Öffentlichkeit, die unachtsame breite Öffentlichkeit, die kaum einen Weber am Zahn oder einen Komponisten am Daumen erkennt, um die feineren Grade von Analyse und Deduktion! Aber wirklich: Wenn Sie trivial sind, so kann ich nicht Sie dafür verantwortlich machen, denn die Tage der großen Fälle sind dahin. Der Mensch, zumindest der verbrecherische Mensch, hat Unternehmungsgeist und Originalität zur Gänze eingebüßt. Was meine eigene kleine Praxis angeht, so scheint sie zu einer Agentur für das Auffinden verlorener Bleistifte und für Ratschläge an junge Damen aus den Mädchenpensionaten zu schrumpfen. Ich denke, ich habe die tiefste Stufe erreicht. Die Nachricht, die ich heute morgen erhielt, markiert, glaube ich, den Nullpunkt. Lesen Sie!"

Er warf mir einen zerknitterten Brief zu. Das Schreiben war am vorangegangenen Abend am Montague Place abgeschickt worden und hatte folgenden Inhalt: › Lieber Mr. Holmes, Mir liegt sehr daran, Ihren Rat in der Frage einzuholen, ob ich eine mir angebotene Stellung als Gouvernante antreten soll oder nicht. Ich werde morgen halb elf zu ihnen kommen, wenn Sie es nicht als Belästigung empfinden. Mit Hochachtung Violet Hunter.‹

"Kennen Sie die junge Dame?" fragte ich. "Nein."

"Es ist halb elf." "Ja, und ich zweifle nicht, daß sie jetzt da klingelt."

"Vielleicht wird die Angelegenheit viel interessanter, als Sie denken. Sie erinnern sich, die Affäre mit dem blauen Karfunkel sah anfangs nur nach einer Laune aus und entwickelte sich dann doch zu einer ernsthaften Untersuchung. Vielleicht ist es jetzt auch so."

"Nun, hoffen wir es! Aber unsere Zweifel werden bald behoben sein, denn hier, wenn ich nicht irre, ist schon die fragliche Person."

Indem wurde die Tür geöffnet und eine junge Dame betrat das Zimmer. Sie war einfach, aber geschmackvoll gekleidet, hatte ein offenes, lebhaftes Gesicht, das gefleckt war wie das Ei eines Regenpfeifers und wirkte in ihrem Auftreten entschieden wie alle Frauen, die ihren eigenen Weg durch die Welt gehen.

"Sie werden mir sicher die Belästigung verzeihen", sagte sie, als mein Gefährte sich zu ihrer Begrüßung erhob, "aber mir ist ein sehr seltsames Erlebnis begegnet und da ich keine Eltern und Verwandte besitze, die ich um Rat fragen könnte, dachte ich mir, Sie wären vielleicht freundlicherweise bereit, mir zu sagen, wie ich mich verhalten soll."

"Bitte, setzen Sie sich, Miss Hunter. Ich schätze mich glücklich, das in meinen Kräften stehende für Sie tun zu können." Mir fiel auf, daß Holmes vom Auftreten und der Redeweise seiner neuen Klientin beeindruckt war. Er betrachtete sie forschend und sammelte sich dann, um ihrer Geschichte zuzuhören, indem er die Lider senkte und die Fingerspitzen gegeneinanderlegte.

"Ich war fünf Jahre lang Gouvernante in der Familie von Colonel Spence Munro", sagte sie. "Doch vor zwei Monaten folgte der Colonel einem Ruf nach Halifax in Nova Scotia und nahm seine Kinder mit nach Amerika, so daß ich ohne Anstellung dastand. Ich annoncierte und beantwortete Annoncen, aber ohne Erfolg. Die kleine Summe, die ich gespart hatte, ging dem Ende zu und ich wußte nicht mehr, was ich machen sollte. In West End gibt es eine bekannte Agentur zur Vermittlung von Gouvernanten, sie heißt Westaway. Dort sprach ich jede Woche einmal vor, um zu hören, ob ein Angebot eingegangen sei, das mir zusagte. Westaway ist der Name des Firmengründers, aber geleitet wird das Unternehmen von Miss Stoper. Sie sitzt in ihrem kleinen Büro, und die Damen, die eine Anstellung suchen, warten im Vorzimmer und werden einzeln hereingerufen. Dann sieht sie in ihren Unterlagen nach, ob Passendes vorhanden ist. Nun, als ich letzte Woche hinging, wurde ich wie üblich in das kleine Büro gewiesen, aber Miss Stoper war nicht allein. Ein erstaunlich dicker Mann mit großem, schwerem Kinn, das in Falten bis zur Kehle hinunterreichte und einem Gesicht, das immer lächelte, saß neben ihr und sah sich sehr ernst die eintretenden Damen an. Kaum war ich im Zimmer, sprang, er fast vom Stuhl hoch und wandte sich an Miss Stoper. ›Das ist die Richtige ‹, sagte er. ›Ich könnte nichts Besseres finden. Hervorragend! Hervorragend!‹ Er schien ganz aus dem Häuschen und rieb sich munter die Hände. Er sah so gemütlich aus, daß es eine Freude war, ihn anzuschauen. ›Sie suchen eine Stellung, Miss?‹ fragte er. ›Ja, Sir ‹ ›Als Gouvernante?‹ ›Ja, Sir ‹ ›Und welches Gehalt verlangen Sie?‹ ›Auf meiner letzten Stelle, bei Colonel Spence Munro, habe ich vier Pfund im Monat bekommen ‹ ›Ts, ts! Schäbig, einfach schäbig!‹ rief er und warf die Hände in die Luft, als kochte er vor Leidenschaft. ›Wie kann man eine solch schandbare Summe einer so anziehenden und gebildeten Dame anbieten!‹ ›Meine Bildung, Sir, ist möglicherweise weniger umfassend, als Sie annehmen‹, sagte ich. ›Ein bißchen Französisch, ein bißchen Deutsch, Musik, Zeichnen ‹ ›Ts, ts! Darum geht es nicht ‹, rief er. ›Die Frage ist: Haben Sie das Betragen und die Haltung einer Dame, oder haben Sie es nicht. Darum handelt sich's, auf eine einfache Formel gebracht. Wenn Sie es nicht haben, taugen Sie nicht, ein Kind aufzuziehen, das eines Tages möglicherweise eine erhebliche Rolle in der Geschichte des Landes spielen wird. Aber wenn Sie's haben, wie könnte ein Gentleman dann von Ihnen verlangen, daß Sie so weit hinabsteigen, ein Gehalt zu akzeptieren, das unter einer dreistelligen Zahl liegt? Bei mir, Madam, würde sich Ihr Gehalt auf einhundert Pfund im Jahr belaufen." Können Sie sich vorstellen, Mr. Holmes, daß ich, hilflos wie ich war, das Angebot zu schön fand, um wahr zu. sein? Der Gentleman - vielleicht weil er meine ungläubige Miene sah - öffnete seine Brieftasche und nahm eine Banknote heraus. ›Ich bin es gewohnt‹, sagte er und lächelte höchst freundlich, wobei sich seine Augen in den weißen Polstern des Gesichts zu glänzenden Schlitzen zusammenzogen, ›meinen jungen Damen die Hälfte des Gehalts im voraus zu zahlen, damit sie die kleinen Ausgäben für die Anreise und die Garderobe bestreiten können ‹ Mir schien, als wäre mir niemals ein so bezaubernder und aufmerksamer Mann begegnet. Da ich bei den Händlern schon Schulden hatte, bedeutete der Vorschuß für mich eine große Hilfe. Und doch fand ich das ganze Geschäft etwas ungewöhnlich, so daß in mir der Wunsch wach wurde, ein wenig mehr zu wissen, ehe ich mich verpflichtete. ›Dürfte ich erfahren, Sir, wo Sie wohnen?‹ fragte ich. ›Hampshire. Bezauberndes Bauernhaus. 'Blutbuchen' heißt es, liegt fünf Meilen von Winchester entfernt. Auf dem Lande, wo es am schönsten ist, das herrlichste alte Anwesen ‹ ›Und meine Pflichten, Sir? Ich wüßte gern, worin sie bestehen ‹ ›Ein Kind, ein lieber kleiner Wildfang. Oh, wenn Sie ihn sehen könnten, wie er Küchenschaben mit dem Pantoffel totschlägt. Klatscht! Klatsch! Klatsch! Drei, ehe man blinzeln kann ‹ Er lehnte sich zurück und lachte, aber schließlich kamen seine Augen wieder zum Vorschein. Ich war ein wenig erschrocken darüber, wie das Kind sich amüsierte, aber das Lachen des Vaters verführte mich zu der Annahme, daß er möglicherweise scherzte. ›Meine einzige Aufgabe wäre demnach‹, fragte ich, ›mich eines einzelnen Kindes anzunehmen?‹ ›Nein, nein, nicht die einzige, meine verehrte junge Dame‹, rief er. ›Es wäre auch Ihre Pflicht - die würde Ihnen aber wohl schon Ihr Taktgefühl eingeben - allen kleinen Befehlen nachzukommen, die meine Frau Ihnen erteilt, vorausgesetzt immer, daß es sich um Befehle handelt, denen eine Dame mit Anstand nachkommen kann. Sehen Sie irgendwelche Schwierigkeiten?‹ ›Ich wäre glücklich, mich nützlich machen zu können ‹ ›Recht so. Nehmen wir zum Beispiel die Kleidung. Wir haben einen ziemlich ausgefallenen Geschmack, müssen Sie wissen - wir sind etwas eigenartig, aber freundlich. Würden Sie etwas gegen eine kleine Laune einwenden, wenn Sie Kleider tragen sollten, die wir Ihnen geben?‹ ›Nein‹, sagte ich reichlich erstaunt. ›Oder würden Sie Anstoß nehmen, wenn wir Sie bäten, mal hier, mal dort Platz zu nehmen?‹ ›O nein ‹ ›Und würden Sie Ihr Haar kurz schneiden, ehe Sie bei uns anfangen?‹ Ich traute meinen Ohren kaum. Wie Sie vielleicht schon bemerkt haben, Mr. Holmes, habe ich recht üppig gewachsenes Haar mit eigentümlich kastanienbraunem Farbton. Man hat es kunstvoll genannt. Ich dachte einfach nicht daran, es ohne weiteres zu opfern. ›Ich fürchte, das ist ganz unmöglich‹, sagte ich. Er hatte mich aus den kleinen Augen voll Eifer beobachtet, und ich sah, wie sich sein Gesicht verdüsterte, als ich ihn abschlägig beschied. ›Ich fürchte, das ist sehr wichtig‹, sagte er. ›Es handelt sich um eine Grille meiner Frau, Madam, und Frauengrillen muß man beachten. Sie würden sich also nicht die Haare abschneiden lassen?‹ ›Nein, Sir, das könnte ich wirklich nicht‹, antwortete ich fest. ›Nun gut. Damit wäre die Angelegenheit erledigt. Schade, denn in anderer Hinsicht wären Sie sehr geeignet. Unter diesen, Umständen, Miss Stoper, möchte ich mir noch einige Ihrer jungen Damen ansehen‹ Die Vermittlerin hatte sich die ganze Zeit über mit Papieren beschäftigt und kein Wort an den Herrn oder an mich gerichtet. Jetzt aber sah sie mich so ärgerlich an, daß mir unwillkürlich der Verdacht kam, ihr könnte durch meine Ablehnung ein gutes Geschäft entgangen sein. ›Soll Ihr Name auf meiner Liste bleiben?‹ fragte sie. ›Wenn Sie so freundlich wären, Miss Stoper?‹

›Nun, das scheint mir ziemlich überflüssig zu sein, da Sie die hervorragendsten Angebote in solcher Weise ablehnen‹, sagte sie spitz. ›Sie können kaum erwarten, daß wir uns anstrengen, noch ein solches Angebot für Sie zu finden‹ Sie schlug einen Gong, der auf dem Tisch stand, und ich wurde vom Diener hinausgeführt. Nun, Mr. Holmes, als ich nach Hause kam und wenig im Schrank vorfand, dafür aber zwei, drei Rechnungen auf dem Tisch, fragte ich mich doch, ob ich mich nicht sehr töricht verhalten hatte. Wenn diese Leute auch seltsame Launen an den Tag legten und Gehorsamkeit in den außergewöhnlichsten Dingen verlangten, so waren sie doch wenigstens bereit, sich ihre Marotten etwas kosten zu lassen. Nicht viele Gouvernanten in England bekommen hundert Pfund im Jahr. Und außerdem: Was nützt mir mein Haar? Viele Leute verändern sich zu ihrem Vorteil, indem sie ihr Haar kurz tragen und vielleicht sollte ich es auch versuchen. Am nächsten Tag war ich geneigt, anzunehmen, ich hätte einen Fehler gemacht und am darauffolgenden war ich mir dessen sicher. Ich war schon entschlossen, meinen Stolz zu überwinden und bei der Agentur nachzufragen, ob die Stelle noch frei sei, als ich diesen Brief von dem Gentleman persönlich bekam. Ich lese ihn einmal vor: Zu den Blutbuchen bei Winchester Liebe Miss Hunter, Miss Stoper war so freundlich, mir Ihre Adresse zu geben und nun schreibe ich, weil ich wissen möchte, ob Sie sich Ihren Entschluß noch einmal überlegt haben. Meiner Frau liegt sehr daran, daß Sie zu uns kommen, denn sie war von meiner Beschreibung Ihrer Person höchst beeindruckt. Wir sind bereit, 30 Pfund im Quartal, also 120 Pfund jährlich, zu zahlen, um Sie für die kleinen Ungelegenheiten zu entschädigen, die unsere Laune Ihnen vielleicht bereiten könnte. Sie sind wirklich nicht sehr ausgefallen. Meine Frau liebt ein bestimmtes Blau und hätte es gern, wenn Sie ein Kleid der Farbe morgens im Haus trügen. Sie brauchen keines zu kaufen, da wir eins besitzen, das meiner lieben Tochter Alice (lebt jetzt in Philadelphia) gehört und das Ihnen, glaube ich, gut passen dürfte. Was unseren Wunsch angeht, daß Sie nicht immer am selben Platz sitzen, sondern ihn des öfteren wechseln und sich auf eine ebenfalls angeordnete Art unterhalten sollen, so wird Ihnen das nicht sehr lästig fallen. Was nun Ihr Haar betrifft: Es ist zweifellos schade, es abzuschneiden - ich selbst habe es bewundert während unseres kurzen Gesprächs – aber ich fürchte doch, ich muß auf dieser Bedingung bestehen und hoffe, das erhöhte Gehalt kann Sie für den Verlust entschädigen. Ihre Pflichten hinsichtlich des Kindes sind sehr leicht zu erfüllen. Bitte, versuchen Sie zu kommen. Ich werde Sie mit einem Dogcart in Winchester erwarten. Schreiben Sie mir, welchen Zug Sie nehmen. Ihr ergebener Jephro Rucastle Das ist der Brief, den ich soeben erhalten habe und ich bin entschlossen, das Angebot anzunehmen. Aber ich habe mir gedacht, daß es gut wäre, Ihnen die Angelegenheit zu unterbreiten, ehe ich den letzten Schritt tue."

"Nun, Miss Hunter, wenn Sie sich entschlossen haben, ist die Frage doch gelöst", sagte Holmes lächelnd. "Aber können Sie mir denn nicht zur Ablehnung raten?"

"Ich gestehe, es scheint mir eine Situation, in der ich meine Schwester nicht gern sähe."

"Was bedeutet das alles, Mr. Holmes?"

"Ich habe nichts Konkretes in der Hand. Ich kann Ihnen nichts sagen. Vielleicht haben Sie sich schon eine Meinung gebildet." "Ich sehe nur eine mögliche Erklärung. Mr. Rucastle scheint ein sehr freundlicher, gutmütiger Mann zu sein. Vielleicht leidet seine Frau an einer Geisteskrankheit und er will das vertuschen, um sie nicht in eine Anstalt bringen zu müssen und gibt ihren Marotten nach, damit es nicht zu einem Ausbruch der Krankheit kommt?"

"Das ist eine mögliche Erklärung und, wie die Dinge liegen, die wahrscheinlichste. Aber auf keinen Fall wird es wohl ein angenehmes Haus für eine junge Dame sein."

"Das Geld, Mr. Holmes, das Geld!"

"Ja, die Bezahlung ist wirklich gut - zu gut. Das ist es, was mich stutzig macht, Warum sollte Ihnen jemand einhundertzwanzig Pfund im Jahr für etwas zahlen, das er auch für vierzig Pfund haben könnte? Dahinter muß ein triftiger Grund stecken."

"Ich dachte mir, wenn ich Ihnen die Umstände auseinandersetze, werden Sie verstehen, warum ich Ihre Hilfe brauche. Ich würde mich sehr gestärkt fühlen, wenn Sie hinter mir stünden." "Oh, dieses Gefühl dürfen Sie getrost haben. Ich möchte Ihnen versichern, daß Ihr kleines Problem das Interessanteste zu sein scheint, was mir in den letzten Monaten begegnet ist. Einige Züge sind ausgesprochen ungewöhnlich. Wenn Sie Zweifel befallen oder in Gefahr geraten..." "Gefahr! Welche Art Gefahr sehen Sie voraus?"

Holmes wiegte den Kopf. "Es wäre keine Gefahr mehr, wenn wir es bestimmen könnten", sagte er.

"Auf ein Telegramm hin würde ich jederzeit zu Ihnen kommen, Tag oder Nacht."

"Das genügt mir." Sie erhob sich entschlossen und alle Furcht war aus ihrem Gesicht geschwunden. "Nun kann ich ganz beruhigt nach Hampshire reisen. Ich werde Mr. Rucastle sofort schreiben, mein armes Haar heute abend noch opfern und morgen nach Winchester fahren."

Mit ein paar Dankesworten an Holmes wünschte sie uns eine gute Nacht und ging ihrer Wege.

"Wenigstens", sagte ich, und ich hörte noch ihren schnellen, festen Schritt auf der Treppe, "scheint sie eine junge Dame zu sein, die sehr gut auf sich selber aufpassen kann."

"Und das wird auch nötig sein", sagte Holmes bedeutungsschwer. "Ich müßte mich sehr irren, wenn wir nicht Nachricht von ihr bekämen, ehe noch allzu viele Tage vergangen sind."

Es dauerte nicht lange und die Voraussage meines Freundes sollte sich erfüllen. Zwei Wochen gingen ins Land und immer wieder richteten sich meine Gedanken auf sie und ich fragte mich, in welche seltsame Seitengasse menschlicher Erfahrung sich diese einsame Frau wohl verlaufen haben mochte. Das ungewöhnliche Gehalt, die eigenartigen Bedingungen, die leicht erfüllbaren Pflichten - alles deutete auf etwas Abnormales, wenn ich auch nicht beurteilen konnte, ob es sich um eine Grille oder um ein Komplott handelte, ob der Mann ein Menschenfreund oder ein Schurke war. Was Holmes anging, saß er oft für eine halbe Stunde mit gerunzelter Stirn geistesabwesend da, aber er fegte die Angelegenheit mit einer Handbewegung beiseite, wenn ich davon anfing. "Tatsachen! Tatsachen! Tatsachen!" rief er ungeduldig.

"Ich kann nicht Ziegelsteine ohne Lehm backen."

Aber er schloß dann immer mit der Bemerkung, daß er seiner Schwester nie erlaubt hätte, eine solche Stellung anzutreten. Das Telegramm, das wir schließlich erhielten, kam eines späten Abends, gerade als ich daran dachte, ins Bett zu gehen und Holmes sich zu einem der nächtlichen Experimente niederließ, deren er häufig frönte. Wenn ich ihn spät verließ, saß er über einer Retorte oder ein Reagenzglas gebeugt und in der gleichen Stellung fand ich ihn am Morgen vor, wenn ich zum Frühstück herunterkam. Er öffnete das gelbe Kuvert und warf mir das Telegramm zu, nachdem er es gelesen hatte.

"Sehen Sie im Bradshaw nach den Zügen", sagte er und wandte sich wieder den chemischen Studien zu. Die Nachricht war kurz und dringlich. ›Bitte, morgen mittag im Hotel Schwarzer Schwan in Winchester sein. Unbedingt kommen. Bin ratlos. Hunter‹, lautete sie. Holmes sah auf. "Fahren Sie mit mir?" fragte er. "Ich möchte schon."

"Dann schauen Sie nach den Abfahrzeiten."

"Halb zehn fährt ein Zug", sagte ich, als ich in meinem Bradshaw nachgeschlagen hatte. "Er kommt elf Uhr dreißig in Winchester an."

"Das paßt genau. Dann sollte ich vielleicht meine Aceton-Analyse zurückstellen, da wir morgen früh frisch sein müssen."

Am nächsten Tag waren wir gegen elf Uhr unterwegs nach der alten englischen Kapitale. Holmes hatte sich gleich in die Morgenzeitungen vergraben, aber nachdem wir die Grenze zu Hampshire passiert hatten, warf er sie beiseite und begann die Landschaft zu bewundern. Es war ein vollkommener Frühlingstag, über einen blauen Himmel zogen weiße Schäfchenwolken von West nach Ost. Die Sonne schien hell und in der Luft lag etwas Heiteres, das die Entschlußkraft stärkte. Bis hin zu den welligen Hügeln um Aldershot lugten überall graue Dächer von Farmhäusern aus dem frischen Laubgrün.

"Sieht das nicht herrlich aus?" rief ich mit all der Begeisterung des Menschen, der geradewegs aus den Nebeln der Baker Street kam. Aber Holmes schüttelte ernst den Kopf.

"Sie wissen, Watson,", sagte er, "daß ein Fluch auf einem Geist wie dem meinen liegt: er muß alles mit Bezug auf die spezielle Sache sehen. Sie schauen auf diese hingestreuten Häuser und sind beeindruckt von ihrer Schönheit. Ich sehe sie, und das einzige, woran ich dabei denke, ist die Einsamkeit, in der jemand ungestraft ein Verbrechen begehen könnte."

"Gott im Himmel!" rief ich. "Wer dächte bei diesen netten alten Anwesen an Verbrechen!"

"Sie erfüllen mich immer mit einem gewissen Entsetzen. Ich glaube daran, Watson, und dieser Glaube gründet sich auf Erfahrung, daß die gemeinsten und elendesten Gassen Londons kein scheußlicheres Sündenregister aufweisen als dieser fröhliche und herrliche Landstrich."

"Sie entsetzen mich."

"Der Grund liegt auf der Hand. Der Druck der öffentlichen Meinung bewirkt in der Stadt, was das Gesetz nicht schaffen kann. Es gibt keine Gasse, die so heruntergekommen wäre, daß der Schrei eines gequälten Kindes oder das Opfer eines betrunkenen Schlägers nicht Sympathie und Entrüstung bei den Nachbarn hervorriefen. Und dann ist dort die Justizmaschinerie so nah, daß ein Wort der Klage sie in Gang setzen kann und von dem Verbrechen zum Kittchen ist es nur ein Schritt. Aber sehen Sie sich diese einsamen Häuser an, von Feldern umgeben und in der Mehrzahl von armen, unwissenden Menschen bewohnt, die das Gesetz kaum kennen. Denken Sie an die Taten voll höllischer Grausamkeit, an die verborgenen Laster, die hier jahrein, jahraus regieren können, ohne daß andere davon erfahren. Wäre die Dame, die uns um Beistand bittet, nach Winchester gezogen, hätte ich um sie keine Angst zu haben brauchen. Es sind die fünf Meilen flachen Landes, die Gefahr bringen. Dennoch scheint klar zu sein, daß sie nicht persönlich bedroht ist."

"Das nehme ich auch an. Wenn sie nach Winchester kommen kann, um uns zu treffen, wäre es ihr auch möglich, zu fliehen."

"Ganz recht. Sie ist im Besitz ihrer Freiheit."

"Aber worum kann es sich dann handeln? Haben Sie keine Erklärung?"

"Ich habe mir sieben verschiedene Erklärungen ausgedacht, von denen jede die Tatsachen, die wir kennen, einbefaßt. Aber welche von ihnen richtig ist, läßt sich nur durch die Neuigkeiten entscheiden, die uns zweifellos erwarten. Ah, da ist der Turm der Kathedrale, und bald werden wir wissen, was uns Miss Hunter erzählen möchte."

Der ›Schwarze Schwan‹ war ein Wirtshaus in der High Street nahe dem Bahnhof. Es besaß einen guten Ruf. Die junge Dame wartete auf uns. Sie hatte einen kleinen Raum gemietet, und der Lunch für uns stand schon auf dem Tisch.

"Ich bin so froh, daß Sie gekommen sind", sagte sie ernst, "es ist so freundlich von Ihnen. Ich wußte wirklich nicht, was ich anderes tun sollte. Ihr Rat wird für mich von unschätzbarem Wert sein."

"Bitte, erzählen Sie uns, was Ihnen zugestoßen ist."

"Das werde ich und ich muß mich beeilen, denn ich habe Mr. Rucastle versprochen, vor drei zurück zu sein. Er hat mir heute früh die Erlaubnis gegeben, in die Stadt zu fahren, obwohl er den Grund dafür nicht kannte."

"Berichten Sie uns alles der Reihe nach."

Holmes streckte seine langen, dünnen Beine zum Kaminfeuer und war so bereit zuzuhören.

"Zuerst muß ich betonen, daß ich auf's Ganze gesehen von Mr. und Mrs. Rucastle nicht schlecht behandelt werde. Es ist nur recht und billig, das zu sagen. Aber ich verstehe sie nicht und ich habe ein ungutes Gefühl."

"Was verstehen Sie nicht?"

"Warum sie sich so aufführen. Doch ich werde Ihnen alles berichten, wie es sich zugetragen hat. Als ich ankam, erwartete mich Mr. Rucastle hier und er fuhr mich mit seinem Dogcart nach seinem Haus ›Zu den Blutbuchen‹. Das Anwesen ist, wie er gesagt hatte, schön gelegen, aber selber ist es nicht schön, ein großes, viereckiges Gebäude, dessen Tünche von Nebel und Regen fleckig geworden ist. An drei Seiten reicht Wald dicht heran, vor der vierten liegt ein Feld, das zu einer Landstraße, die nach Southampton führt, hin abfällt. Die Straße verläuft in einem Bogen und ist ungefähr hundert Yard von der Hausfront entfernt. Das Feld gehört zum Anwesen, aber die Wälder sind Lord Southertons Jagdgehege. Eine Gruppe Blutbuchen gleich vor der Halle hat dem Gut den Namen gegeben. Ich wurde also von meinem Dienstherrn, der freundlich wie immer war, dort hingefahren und am Abend stellte er mich seiner Frau und dem Kind vor. Die Annahme, die wir in Ihrer Wohnung in der Baker Street für wahrscheinlich hielten, trifft nicht zu. Mrs. Rucastle ist nicht geisteskrank. Sie ist eine stille, blaßgesichtige Frau, viel jünger als, ihr Mann, nicht älter als dreißig, während er bestimmt fünfundvierzig sein dürfte. Aus ihrer Unterhaltung hörte ich heraus, daß sie erst sieben Jahre verheiratet sind, er Witwer war und jene Tochter, die jetzt in Philadelphia lebt, aus seiner ersten Ehe stammt. Mr. Rucastle erzählte mir im Vertrauen, sie hätte das Haus aus grundloser Abneigung gegen die Stiefmutter verlassen. Da die Tochter etwa zwanzig sein dürfte, kann ich mir vorstellen, daß ihr Verhältnis zu der jungen Frau ihres Vaters nicht erquicklich war. Mrs. Rucastle kam mir farblos vor, sowohl geistig als auch körperlich. Sie machte auf mich keinen günstigen Eindruck noch das Gegenteil davon. Sie ist einfach ein Nichts. Ich sah sofort, daß sie ihrem Mann und ihrem Sohn leidenschaftlich zugetan ist. Ihre hellen grauen Augen wandern zwischen ihnen hin und her, sie liest ihnen alles vom Gesicht ab und kommt ihren Wünschen, wenn möglich, zuvor. Er ist freundlich zu ihr in seiner plumpen, lärmenden Art und ganz allgemein bieten sie das Bild eines glücklichen Paars. Und doch hat sie heimlichen Kummer, diese Frau. Oft sitzt sie in tiefen Gedanken und sieht sehr traurig aus.

Mehr als einmal habe ich sie in Tränen überrascht. Manchmal dachte ich, daß es die Art ihres Sohnes sei, die sie bedrückte, denn mir ist noch nie ein so verwöhntes und bösartiges kleines Geschöpf begegnet. Er ist klein für sein Alter, die Größe des Kopfes steht in keinem Verhältnis zum Körper. Sein ganzes Leben scheint sich zwischen wilden Gefühlsausbrüchen und düsterem Schmollen abzuspielen. Kreaturen, die schwächer sind als er, Schmerz zuzufügen ist offensichtlich sein einziger Begriff von Vergnügen und er legt ein bemerkenswertes Talent im Fangen von Mäusen, jungen Vögeln und Insekten an den Tag. Aber ich sollte nicht über den Jungen sprechen, Mr. Holmes, denn er hat mit meiner Geschichte wenig zu tun."

"Ich bin für alle Einzelheiten dankbar", bemerkte mein Freund, "ob sie Ihnen wichtig vorkommen mögen oder nicht."

"Ich werde versuchen, nichts Wichtiges wegzulassen. Das Unangenehme an diesem Haushalt, das mir sofort auffiel, sind das Äußere und das Benehmen der Bediensteten. Sie haben zwei, einen Mann mit seiner Frau. Toller, so heißt er, ist ein roher, ungeschlachter Mann, hat graues Haar und einen Backenbart und riecht ständig nach Schnaps. Zweimal war er, solange ich dort bin, völlig betrunken und doch schien Mr. Rucastle nicht Notiz davon zu nehmen. Die Frau ist eine sehr große, starke Person mit einem mürrischen Gesicht, schweigsam wie Mrs. Rucastle, aber noch viel weniger liebenswürdig als sie. Sie sind ein äußerst unangenehmes Pärchen, aber glücklicherweise verbringe ich die meiste Zeit in meinem Zimmer und in dem des Kindes; beide Räume liegen in einer Ecke des Hauses nebeneinander. Nach meiner Ankunft in ›Blutbuchen‹ hatte ich zwei ruhige Tage. Am dritten Tag kam Mrs. Rucastle kurz nach dem Frühstück noch einmal herunter und flüsterte mit ihrem Mann. ›O ja‹, sagte er dann, und zu mir gewandt: ›Wir danken Ihnen sehr, Miss Hunter, daß Sie auf unsere Launen insoweit eingegangen sind, als Sie sich das Haar haben kurz schneiden lassen. Ich versichere Ihnen, Sie haben dadurch nicht das kleinste bißchen in Ihrer Erscheinung eingebüßt. Nun wollen wir sehen, wie Ihnen das blaue Kleid steht. Sie finden es auf Ihrem Bett, und wenn Sie die Freundlichkeit hätten, es anzuziehen, wären wir Ihnen sehr verbunden‹ Das Kleid, das da auf mich wartete, hat einen besonderen blauen Farbton. Es ist aus hervorragendem Material gefertigt, einer Art Wollstoff, aber man konnte deutlich sehen, daß es schon getragen war. Es hätte nicht besser passen können, wenn es für mich genäht worden wäre. Als sie mich in dem Kleid erblickten, drückten Mr. und Mrs. Rucastle ein Entzücken aus, das mir gänzlich unangemessen schien. Sie erwarteten mich im Salon - das ist ein sehr großer Raum mit drei bis zum Boden reichenden Fenstern, der über die ganze Vorderfront des Hauses geht. Nahe dem Mittelfenster war ein Stuhl aufgestellt, mit der Lehne zum Fenster. Da müßte ich mich hinsetzen und dann begann Mr. Rucastle vor mir auf und ab zu gehen und er erzählte mir die lustigsten Geschichten, die ich je gehört habe. Sie können sich nicht vorstellen, wie komisch er wirkte und ich lachte, bis ich ganz erschöpft war. Mrs. Rucastle hingegen, die anscheinend keinen Sinn für Humor hat, saß da, die Hände im Schoß, mit bekümmertem Gesicht. Nach ungefähr einer Stunde stellte Mr. Rucastle unvermittelt fest, es sei Zeit, sich den Pflichten des Tages zu widmen und ich sollte das Kleid wechseln und zu dem kleinen Edward ins Kinderzimmer gehen. Zwei Tage später fand die gleiche Vorstellung unter genau denselben Umständen statt. Wieder legte ich das Kleid an, wieder saß ich mit dem Rücken zum Fenster und wieder lachte ich herzhaft über fröhliche Geschichten, von denen mein Herr einen riesigen Vorrat zu haben scheint und die er unnachahmlich vorträgt. Dann gab er mir einen Schmöker, schob den Stuhl ein wenig seitlich, so daß mein Schatten nicht auf die Seiten fiel und bat mich, ihm laut vorzulesen. Ich begann irgendwo in einem Kapitel, las zehn Minuten lang und mitten im Satz befahl er mir, aufzuhören und mich umzuziehen. Sie können sich wohl vorstellen, Mr. Holmes, wie neugierig ich wurde, was diese merkwürdige Aufführung bedeuten mochte. Die beiden achteten immer sehr darauf, daß ich das Gesicht vom Fenster abgewandt hielt und ich verzehrte mich in dem Verlangen, zu erfahren, was sich hinter meinem Rücken abspielte. Zuerst hielt ich es für unmöglich, das herauszubekommen, doch bald fand ich ein Mittel. Mein Handspiegel war zerbrochen und mir kam der glückliche Einfalt, ein Stückchen von dem Glas im Taschentuch zu verbergen. Bei der nächsten Gelegenheit führte ich mitten im Lachen das Taschentuch an die Augen und konnte mit dem kleinen Trick alles sehen, was es hinter mir gab. Ich gestehe, ich wurde enttäuscht. Da war nichts. Wenigstens nach meinem ersten Eindruck. Auf den zweiten Blick nahm ich jedoch auf der Landstraße nach Southampton einen Mann wahr, klein, mit Bart, in einem grauen Anzug, der zu mir herüberzublicken schien. Die Landstraße ist ein wichtiger Verkehrsweg und immer bevölkert. Doch dieser Mann lehnte am Zaun, der unser Feld einfaßt und blickte ernst herüber. Ich ließ das Taschentuch sinken und fing auf, daß Mrs. Rucastle mich forschend ansah. Sie sagte nichts, aber ich bin davon überzeugt, sie ahnte, daß ich einen Spiegel in der Hand gehalten und bemerkt hatte, was hinter mir war. Sie erhob sich sofort. ›Jephro‹, sagte sie, ›da steht ein unverschämter Bursche auf der Landstraße. Er starrt Miss Hunter an ‹ ›Ein Freund von Ihnen, Miss Hunter?‹ fragte er. ›Nein, ich kenne niemanden in dieser Gegend ‹ ›Wie unverschämt der sich benimmt! Bitte, drehen Sie sich um und winken Sie ihm, zu verschwinden ‹ ›Wäre es nicht besser, keine Notiz von ihm zu nehmen?‹ ›Nein, nein, er wird sonst immer wieder hier herumlungern. Bitte, drehen Sie sich um und winken Sie, daß er gehen soll ‹ Ich tat, wie mir geheißen und im selben Augenblick ließ Mrs. Rucastle die Jalousie herunter. Das war vor einer Woche und seither habe ich nicht wieder am Fenster gesessen, noch habe ich das blaue Kleid getragen, noch den Mann auf der Landstraße gesehen."

"Bitte, fahren Sie fort", sagte Holmes. "Ihre Erzählung verspricht höchst interessant zu werden."

"Sie finden sie wohl ziemlich zusammenhanglos, fürchte ich, und vielleicht gibt es auch wenig Beziehung zwischen den verschiedenen Ereignissen, von denen ich spreche. An meinem allerersten Tag in 'Blutbuchen' führte mich Mr. Rucastle zu einem Nebengebäude, das in der Nähe des Küchenausgangs steht. Als wir dicht davor waren, hörte ich das Rasseln einer Kette und Geräusche wie von einem großen Tier, das sich hin und her bewegt. ›Sehen Sie mal hier durch!‹ sagte Mr. Rucastle und wies mir eine Ritze zwischen zwei Bohlen. ›Ist das nicht ein Prachtkerl?‹ Ich sah durch den Spalt und gewahrte zwei glühende Augen und den Umriß einer Gestalt, die mit der Dunkelheit fast verschwamm. ›Sie brauchen keine Angst zu haben‹, sagte mein Dienstherr und lachte, weil ich zusammengezuckt war. ›Das ist nur Carlo, meine Bulldogge. Ich sage, meine Bulldogge, doch in Wirklichkeit ist der alte Toller der einzige, der mit ihm anstellen kann, was er will. Wir füttern ihn einmal am Tag und dann auch nicht allzu reichlich, so daß er immer scharf ist wie Senf. Jede Nacht läßt Toller ihn los und gnade Gott dem Eindringling, der seine Reißzähne zu spüren bekommt.

Setzen Sie um Himmels willen, nachts nie, aus welchem Grunde auch immer, den Fuß über die Schwelle, denn nicht weniger als Ihr Leben steht auf dem Spiel ‹ Er hat die Warnung nicht nur so dahingesagt. In der übernächsten Nacht blickte ich gegen zwei Uhr zufällig aus dem Fenster meines Schlafzimmers, es war eine herrliche Mondnacht und der Rasen vorm Haus lag silberübergossen, fast wie in Tageshelle unter mir. Ich stand da, gebannt von der friedlichen Schönheit der Szene und sah dann plötzlich, wie sich etwas zwischen den Blutbuchen bewegte. Als das Wesen in den Mondschein hinaustrat, erkannte ich, was es war: ein riesiger Hund, groß wie ein Kalb, gelbbraun, mit hängender Wamme, schwarzer Schnauze und starken vorspringenden Knochen. Langsam ging er über den Rasen und verschwand am anderen Ende wieder im Schatten. Der fürchterliche schweigende Wächter machte mein Herz erbeben, wie es keinem Einbrecher gelungen wäre. Und nun muß ich Ihnen von einem sehr seltsamen Erlebnis berichten. Ich hatte mir, wie Sie wissen, in London das Haar abschneiden lassen. Es lag in einer großen Rolle zuunterst in meinem Koffer. Eines Abends, als das Kind im Bett war, vergnügte ich mich damit, die Möbel meines Zimmers näher zu betrachten und meine Habseligkeiten zu ordnen. Es gibt da eine alte Kommode. Ihre beiden oberen Schubladen bekam ich auf, aber die unterste war abgeschlossen. Die beiden oberen hatte ich mit meiner Wäsche vollgepackt und da noch viel zu verstauen blieb, verdroß es mich natürlich, daß ich die dritte Schublade nicht benutzen konnte. Mir kam der Gedanke, daß sie vielleicht aus Versehen abgesperrt worden sei; ich nahm mein Schlüsselbund und versuchte sie zu öffnen. Der erste Schlüssel paßte genau und ich zog den Kasten auf. Darin lag nur eine einzige Sache, aber ich bin sicher, daß Sie nie erraten, um was es sich handelte. Es war meine Haarrolle. Ich nahm das Haar heraus und untersuchte es. Es hatte genau die Farbe und Dichte. Aber dann drängte sich mir die Unmöglichkeit der Angelegenheit auf. Wie konnte mein Haar in der verschlossenen Schublade liegen? Mit zitternden Händen öffnete ich meinen Koffer, tat den Inhalt heraus und da lag mein Haar. Ich hängte beide Flechten nebeneinander, und ich versichere Ihnen: sie waren absolut gleich. Ist das nicht außergewöhnlich? In meiner Verwirrung konnte ich mir nicht erklären, was das bedeuten mochte. Ich legte das fremde Haar in die Schublade zurück und sagte den Rucastles nichts von der Entdeckung, da ich mich schuldig fühlte, eine verschlossene Schublade aufgemacht zu haben. Ich bin eine gute Beobachterin, wie Sie vielleicht schon bemerkt haben und bald hatte ich mir den Plan des ganzen Hauses eingeprägt. Ein Flügel ist überhaupt nicht bewohnt. Eine Tür gegenüber dem Zimmer der Tollers führt dort hinein, aber sie bleibt immer abgeschlossen. Dennoch begegnete ich eines Tages, als ich die Treppe hinaufstieg, Mr. Rucastle, als er mit Schlüsseln in der Hand aus dieser Tür kam, sein Gesicht hatte einen so fremden Ausdruck, daß er dem runden, jovialen Mann, den ich kannte, gar nicht mehr ähnelte. Die Wangen waren hochrot, die Stirn gerunzelt, und die Schläfenadern waren vor Wut geschwollen. Er schloß die Tür und stürzte ohne Wort und Blick an mir vorüber. Das weckte meine Neugier und als ich mit meinem Pflegling im Gelände spazierenging, schlenderte ich zu einer Stelle, von wo aus ich die Fenster dieses Hausteils sehen konnte. Vier lagen nebeneinander, drei waren einfach schmutzig, während man vom vierten die Läden zugeschlagen hatte. Die Räume waren offensichtlich unbewohnt. Ich ging auf und nieder und warf wie zufällig Blicke auf die Fenster, da trat Mr. Rucastle vors Haus, fröhlich und leutselig wie immer. ›Ah!‹ sagte er, ›Sie müssen mich nicht für ungezogen halten, wenn ich wortlos an Ihnen vorbeiging, meine liebe junge Dame. Ich hätte den Kopf voller Geschäftsangelegenheiten ‹ Ich versicherte ihm, ich fühlte mich nicht beleidigt. ›Übrigens‹, sagte ich, ›scheint es, daß Sie da oben eine ganze Flucht Extrazimmer haben, bei einem der Fenster sind die Läden vorgelegt ‹ ›Eines meiner Steckenpferde ist die Fotografie‹, sagte er. ›Dort habe ich mir eine Dunkelkammer eingerichtet. Aber, du lieber Himmel, nun stellt sich ja heraus, daß Sie offenbar eine genau beobachtende junge Dame sind. Wer hätte das gedacht? Wer hätte das jemals gedacht?‹ Er sprach in heiterem Ton, aber in seinen Augen war keine Heiterkeit, als er mich anblickte. In ihnen sah ich Mißtrauen und Ärger, keine Heiterkeit. Nun, Mr. Holmes, von dem Augenblick an, da ich begriffen hatte, daß es um die Zimmerflucht etwas gab, das ich nicht wissen sollte, war ich Feuer und Flamme, sie zu erkunden. Nicht die reine Neugier trieb mich, obwohl auch sie mitbeteiligt war. Eher empfand ich etwas wie Pflicht - so als ob es gut wäre, wenn ich zu jenen Zimmern vordringen könnte. Man spricht von weiblichem Instinkt - vielleicht war es weiblicher Instinkt, der mir das Gefühl eingab. Wie dem auch sei, es war vorhanden und ich spähte scharf nach einer Gelegenheit, durch die verbotene Tür gehen zu können. Die Chance bot sich mir gestern. Ich muß für Sie noch ergänzen, daß Toller und seine Frau sich manchmal in den leerstehenden Zimmern zu schaffen machen und einmal sah ich, wie er einen schwarzen Leinensack hineintrug. In den letzten Tagen hat er viel getrunken und gestern abend war er sehr betrunken, und als ich die Treppe hinaufstieg, steckte der Schlüssel in der Tür. Ich zweifle nicht daran, daß er es war, der ihn steckenließ. Mr. und Mrs. Rucastle saßen beide unten, das Kind war bei ihnen und so schien es mir eine ausgezeichnete Möglichkeit. Vorsichtig drehte ich den Schlüssel im Schloß, öffnete und schlüpfte hinein. Vor mir lag ein kurzer Korridor, untapeziert, ohne Möbel, der sich nach einer rechtwinkligen Biegung fortsetzte. Dort fand ich nebeneinander drei Türen und die erste und die dritte standen offen. Die Zimmer waren leer und verstaubt und machten einen freudlosen Eindruck. Das eine besaß zwei, das andere ein Fenster, und alle waren so schmutzig, daß das abendliche Licht nur düster einfiel. Die mittlere Tür war verschlossen und überdies durch in Eisen eingelassene Stangen gesichert, die an einem Ende in einem eingemauerten Ring steckten und am anderen Ende mit starker Schnur befestigt waren. Im Schloß steckte kein Schlüssel. Diese verbarrikadierte Tür mußte zu dem Zimmer mit den vorgelegten Läden gehören, das war mir klar und doch meinte ich nach dem schwachen Schimmer, der durch eine Ritze nicht weit überm Fußboden drang, daß es drinnen nicht völlig dunkel sein könne. Offenbar gibt es ein Deckenfenster, durch das Licht hereinfällt. Als ich vor der unheilvollen Tür stand und überlegte, welches Geheimnis sie bergen mochte, hörte ich plötzlich aus dem Zimmer Schritte und bemerkte am Spalt unten in der Tür, durch den der schwache Schimmer fiel, daß - sich ein Schatten vor und zurück bewegte. Ein wilder, unbeherrschbarer Schrecken erfaßte mich, als ich dies sah, Mr. Holmes. Mit einem Mal versagten meine überspannten Nerven den Dienst und ich rannte davon, rannte, als wäre hinter mir eine fürchterliche Hand, die nach meinem Kleidersaum griff. Ich jagte über den Korridor, durch die Tür und geradewegs in die Arme von Mr. Rucastle, der draußen wartete. ›So‹, sagte er lächelnd, ›Sie waren das also. Ich dachte es mir, als ich die Tür offen sah ‹ ›Oh, ich habe solche Angst!‹ keuchte ich. ›Meine liebe junge Dame! Meine liebe junge Dame!‹ - Sie können sich nicht vorstellen, wie schmeichelnd und beruhigend er tat - ›Und was hat Sie so erschreckt, meine liebe junge Dame?‹ Aber seine Stimme war ein bißchen zu sanft. Er übertrieb. Ich war ihm gegenüber sofort auf der Hut.

›Es war dumm von mir, in den unbewohnten Flügel hineinzugehen‹, antwortete ich. ›In der Dunkelheit war es so einsam und unheimlich, daß mir bange wurde und ich schnell die Flucht ergriff. Oh, es ist grauenhaft still da drinnen ‹ ›Nur still?‹ sagte er und beobachtete mich scharf. ›Was denken Sie von mir?‹ antwortete ich. ›Und was denken Sie, warum ich die Tür abschließe?‹ ›Das weiß ich gewiß nicht ‹ ›Um Leute, die da drin nichts verloren haben, herauszuhalten. Verstehen Sie?‹ Noch immer lächelte er in der liebenswürdigsten Weise. ›Wenn ich gewußt hätte.. ‹ ›Nun, jetzt wissen Sie. Und wenn Sie jemals wieder den Fuß über diese Schwelle setzen sollten.. ‹, augenblicklich verhärtete sich sein Lächeln zu einem wütenden Grinsen und er starrte mich mit einer dämonischen Grimasse an, ›dann werfe ich Sie der Bulldogge vor ‹ Ich war so entsetzt, daß ich nicht sagen kann, was ich dann tat. Ich nehme an, ich bin an ihm vorbei zu meinem Zimmer gerannt. Ich fand mich, am ganzen Leibe zitternd, auf meinem Bett wieder. Dann dachte ich an Sie, Mr. Holmes. Mir war, als könnte ich ohne Ihren Beistand dort nicht länger leben. Ich hatte Angst vor dem Haus, dem Mann, der Frau, den Bediensteten, sogar vor dem Kind. Sie waren mir alle schrecklich geworden. Ich dachte, daß es gut werden würde, wenn ich Sie dazu bringen könnte, hierher zu kommen. Natürlich hätte ich fliehen können, aber meine Neugier ist fast so groß wie meine Furcht. Bald hatte ich mich entschieden: Ich wollte Ihnen ein Telegramm schicken. Ich setzte meinen Hut auf, zog den Mantel an und ging zur Post, die sich ungefähr eine halbe Meile vom Haus entfernt befindet. Als ich zurückkehrte, fühlte ich mich erleichtert. Eine fürchterliche Ungewißheit erfaßte mich jedoch kurz vor dem Hause bei dem Gedanken, daß der Hund umherstreichen könnte, aber dann fiel mir ein, daß Toller sich bis zur Bewußtlosigkeit betrunken hatte und er der einzige war, der mit der Bestie umgehen konnte und es wagen durfte, sie loszulassen. Ich schlüpfte ins Haus und lag die halbe Nacht wach vor Freude bei der Vorstellung, daß Sie kommen würden. Es bereitete mir keine Schwierigkeiten, heute vormittag nach Winchester zu kommen, aber ich muß vor drei wieder zurück sein, denn Mr. und Mrs. Rucastle machen heute abend einen Besuch und werden erst spät wiederkommen, dann muß ich auf das Kind aufpassen. Jetzt habe ich Ihnen meine Abenteuer erzählt, Mr. Holmes, und ich wäre froh, wenn Sie mir erklären könnten, was das alles bedeuten mag und besonders, wie ich mich verhalten soll."

Gefesselt hatten Holmes und ich der außergewöhnlichen Geschichte gelauscht. Jetzt erhob sich mein Freund, ging im Zimmer auf und ab, die Hände in den Taschen. Sein Gesicht war tiefernst.

"Ist Toller noch betrunken?" fragte er.

"Ja. Ich habe gehört, wie seine Frau zu Mrs. Rucastle sagte, mit ihm sei nichts anzufangen."

"Das ist gut. Und die Rucastles gehen heute abend aus?"

"Ja."

"Gibt es im Haus einen Keller mit starkem Schloß?"

"Ja, den Weinkeller."

"Sie scheinen mir in der Angelegenheit als kluges und verständiges Mädchen gehandelt zu haben, Miss Hunter. Glauben Sie, Sie könnten noch eine Tat vollbringen? Ich würde Sie nicht darum bitten, wenn ich Sie nicht für eine ganz außergewöhnliche Frau hielte."

"Ich will es versuchen. Worum handelt es sich?"

"Wir, mein Freund und ich, werden uns um sieben Uhr am Haus 'Zu den Blutbuchen' einfinden. Zu der Zeit sind die Rucastles nicht mehr da und Toller wird, so hoffe ich, noch unzurechnungsfähig sein. Es bleibt also nur Mrs. Toller, die Alarm schlagen könnte. Wenn es Ihnen gelänge, sie mit irgendeinem Auftrag in den Keller zu schicken und sie dort dann einzusperren, würde das uns die Dinge erheblich erleichtern."

"Ich werde es tun."

"Ausgezeichnet! Dann wollen wir in die Affäre einmal gründlich hineinleuchten. Ich halte eigentlich nur eine Erklärung möglich: Man hat Sie dorthin gelockt, damit Sie die Rolle einer anderen spielen und diese andere ist in dem Raum eingesperrt. In der Frage, um wen es sich bei der Gefangenen handelt, habe ich keinen Zweifel: Es muß Alice Rucastle sein, wenn ich mir den Namen richtig gemerkt habe, von der es heißt, sie lebe in Amerika. Sie wurden ausgewählt, weil Sie ihr in Größe und Gestalt ähneln und die gleiche Haarfarbe besitzen. Ihr hat man das Haar abgeschnitten, sehr wahrscheinlich wegen einer Krankheit, die sie durchmachte, darum mußte sie ihr Haar opfern. Durch einen seltsamen Zufall sind Sie auf die Flechte gestoßen. Der Mann auf der Landstraße ist ein Freund des Mädchens - vielleicht der Verlobte - und da Sie ihr Kleid trugen und überhaupt aussahen wie sie, überzeugte ihn ihr Lachen, wann immer er sie sah und dann ihre abweisende Geste davon, daß Miss Rucastle vollkommen glücklich sei und seine Aufmerksamkeit nicht mehr wünsche. Der Hund wird nachts losgelassen, um ihn an dem Versuch zu hindern, mit ihr in Verbindung zu treten. Soweit scheint alles ziemlich klar. Die ernsteste Frage in dem Fall ist die Geisteshaltung des Kindes."

"Was in aller Welt hat das damit zu tun?" warf ich ein. "Mein lieber Watson, Sie als Mann der Medizin bringen unausgesetzt Licht in die Fragen nach der möglichen Entwicklung von Kindern, indem Sie deren Eltern genau beobachten. Sehen Sie denn nicht, daß die Umkehrung der Methode genauso wichtig ist? Neulich erst habe ich einen ersten Einback in den Charakter eines Elternpaares dadurch gewonnen, indem ich die Kinder beobachtete. Der Junge hier neigt zur Grausamkeit, nur weil er grausam sein will und ob er in dem Punkt nach seinem lächelnden Vater geraten ist, wie ich vermute, oder nach seiner Mutter, es bedeutet gleich viel Elend für das arme Mädchen, das sich in der Gewalt der Leute befindet."

"Ich bin sicher, es verhält sich, wie Sie sagen", rief unsere Klientin. "Jetzt fallen mir tausend Dinge ein, die darauf hindeuten, daß Sie den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Oh, wir dürfen keine Sekunde verlieren! Wir müssen dem armen Geschöpf helfen!"

"Wir müssen uns umsichtig verhalten, denn wir haben es mit einem sehr schlauen Mann zu tun. Vor sieben Uhr können wir nichts ausrichten. Um die Zeit sind wir bei Ihnen und dann wird es nicht mehr lange dauern, bis das Rätsel gelöst ist."

Wir hielten Wort und fanden uns Punkt sieben Uhr am Haus 'Zu den Blutbuchen' ein. Unseren Trap hatten wir bei einer Gaststätte am Weg stehenlassen. Die Gruppe der Bäume mit ihren dunklen Blättern, die in der untergehenden Sonne wie poliertes Metall glänzten, wäre zum Erkennen des Hauses ausreichend gewesen, selbst wenn Miss Hunter nicht lächelnd vor der Tür gestanden hätte. "Ist es Ihnen gelungen?" Von irgendwo unten drang lautes, Klopfen zu uns. "Das ist Mrs. Toller im Keller", sagte sie. "Ihr Mann liegt in der Küche schnarchend auf einer Pferdedecke. Hier sind die Schlüssel, Duplikate von denen an Mr. Rucastles Bund."

"Das haben Sie wirklich gut gemacht!" rief Holmes begeistert. "Zeigen Sie uns den Weg, dann werden wir bald den Schluß der dunklen Geschichte erleben." Wir stiegen die Treppe hinauf, öffneten die Tür, durchschritten den Korridor und standen vor der Barrikade, die Miss Hunter uns beschrieben hatte. Holmes kappte das Seil und schob die Stangen beiseite. Dann probierte er es mit den verschiedenen Schlüsseln, aber ohne Erfolg. Von innen gab es keinen Laut und Holmes' Stirn umwölkte sich wegen der Stille.

"Ich hoffe, wir kommen nicht zu spät", sagte er. "Ich denke, Miss Hunter, es wäre besser, wenn nur Watson und ich hineingingen. Nun, Watson, stemmen Sie die Schulter dagegen. Es wäre doch gelacht, wenn wir uns nicht Zutritt verschaffen könnten."

Die Tür war alt und morsch. Sie gab unter unseren vereinten Anstrengungen sofort nach. Zusammen stürzten wir in das Zimmer. Es war leer bis auf ein Feldbett, einen kleinen Tisch und einen Korb voller Wäsche. Das Deckenfenster stand offen. Die Gefangene war weg.

"Hier hat eine Schurkerei stattgefunden", sagte Holmes. "Der Bursche hat Miss Hunters Vorhaben geahnt und sein Opfer fortgeschleppt."

"Aber wie?"

"Durch das Deckenfenster. Wir werden bald wissen, wie er es angestellt hat."

Er schwang sich durch das Fenster aufs Dach.

"Ha! ich habe es!" rief er "Hier am Efeu lehnt eine lange Leiter. So hat er es gemacht."

"Aber das ist unmöglich!" rief Miss Hunter. "Die Leiter stand noch nicht da, als die Rucastles fortgingen."

"Er ist dafür zurückgekommen. Ich sage Ihnen doch, wir haben es mit einem schlauen und gefährlichen Mann zu tun. Es sollte mich nicht wundern, wenn er das ist, dessen Schritt ich von der Treppe höre. Ich denke, Watson, es wäre gut, Sie hielten Ihre Pistole bereit."

Die Worte waren kaum aus seinem Mund, als ein Mann in der Zimmertür erschien, ein sehr fetter, plumper Mann mit einem schweren Stock in der Hand. Miss Hunter schrie auf und wich vor seinem Anblick rückwärts zur Wand, aber Sherlock Holmes sprang vor und stellte ihn.

"Sie Schurke", sagte er, "wo ist Ihre Tochter?" Der fette Mann ließ den Blick durchs Zimmer schweifen und sah dann hoch zu dem offenen Deckenfenster.

"Das frage ich Euch", kreischte er, "Ihr Diebe! Spione und Diebe! Habe ich Euch erwischt! Ihr seid in meiner Gewalt! Euch werde ich's zeigen!"

Er drehte sich um und polterte, so schnell er konnte, die Treppe hinunter.

"Er holt den Hund!" rief Miss Hunter. "Ich habe eine Pistole", sagte ich. "Wir schließen besser die Haustür", rief Holmes und wir stürzten die Treppe hinunter. Kaum waren wir in der Halle, als wir das Gebell eines Hundes und gleich darauf einen Todesschrei und einen schrecklich würgenden Laut vernahmen, der scheußlich anzuhören war. Ein älterer Mann mit rotem Gesicht und schlotternden Gliedern taumelte aus einer Seitentür.

"Mein Gott!" rief er, "jemand hat den Hund losgemacht. Er hat zwei Tage nichts zu fressen bekommen. Schnell, schnell, oder es ist zu spät."

Holmes und ich stürzten hinaus und um die Hausecke, Toller folgte uns auf den Fersen. Da stand die riesige ausgehungerte Bestie, die schwarze Schnauze in Rucastles Kehle verbissen. Der Mann wand sich am Boden und schrie. Ich sprang, vor, schoß dem Hund in den Kopf und er fiel um, die weißen scharfen Zähne hielten noch immer die Fettpolster des Halses. Mit großer Mühe konnten wir die beiden voneinander trennen. Wir trugen den Mann, der lebte, sich aber in einem schrecklich zerfetzten Zustand befand, ins Haus. Im Salon legten wir ihn aufs Sofa und nachdem wir den ernüchterten Toller mit der Nachricht zur Frau des Hauses geschickt hatten, tat ich, was ich vermochte, die Schmerzen des Verletzten zu lindern. Wir waren alle um ihn versammelt, als die Tür aufging und eine große, hagere Frau ins Zimmer trat.

"Mrs. Toller!" rief Miss Hunter. "Ja, Miss. Mr. Rucastle hat mich rausgeholt, ehe er nach oben ging. Ach, Miss, es ist jammerschade, daß Sie mir nicht gesagt haben, was Sie tun wollten, denn ich hätte Ihnen sagen können, daß Sie sich vergebens Mühe machen."

"So!" sagte Hohnes und sah sie scharf an, "demnach ist es klar, daß Mrs. Toller mehr in dieser Angelegenheit weiß als sonst jemand."

"Ja, Sir, so ist es und ich will alles erzählen, was ich weiß."

"Dann setzen Sie sich bitte und lassen uns Ihre Geschichte hören, denn es gibt da Punkte, in denen ich, wie ich gestehen muß, noch im Dunkeln tappe."

"Ich erzähle Ihnen gleich alles", sagte sie, "und ich hätte es schon früher getan, wenn ich aus dem Keller gekommen wäre. Wenn es eine Untersuchung durch die Polizei gibt, dann erinnern Sie sich daran, daß ich diejenige war, die Ihrer Freundin beigestanden hat und die auch die Freundin von Miss Alice war. Sie fühlte sich nicht mehr glücklich zu Haus, die Miss Alice, von der Zeit an, wo ihr Vater wieder geheiratet hat. Sie wurde geringschätzig behandelt und hatte überhaupt nichts zu sagen. Aber richtig dreckig ist es ihr nie gegangen, bis sie dann bei einer Freundin Mr. Fowler kennen gelernt hat. Soviel ich weiß, hatte Miss Alice durch das Testament ihrer Mutter ihr eigenes Vermögen, aber sie war so ruhig und so geduldig, wirklich, daß sie nie ein Wort davon gesagt hat und alles Mr. Rucastle überließ. Er wußte, er hatte sie sicher. Aber dann sah es so aus, als wenn ein Ehemann auftauchen könnte, der alles verlangen würde, was ihm vom Gesetz her zustand und da hat der Vater gedacht, es war Zeit, einen Riegel vorzuschieben. Er wollte, sie sollte unterschreiben, daß er ihr Geld weiter behalten konnte, ob sie nun heiratete oder nicht. Als sie nicht wollte, hat er ihr so zugesetzt, daß sie Nervenfieber bekam und sechs Wochen auf den Tod da lag. Dann wurde es schließlich wieder besser mit ihr, aber sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst und ihr schönes Haar war auch abgeschnitten. Doch das hat den jungen Mann nicht abgeschreckt, er war ihr treu, wie ein Mann nur sein kann."

"Ah", sagte Holmes, "ich glaube, das, was Sie uns freundlicherweise erzählt haben, klärt die Angelegenheit ziemlich und ich kann den Rest allein ableiten. Mr. Rucastle, nehme ich an, griff dann zu dem Mittel, sie einzusperren."

"Ja, Sir."

"Und er ließ Miss Hunter aus London kommen, um die unangenehme Beharrlichkeit des Mr. Fowler zu brechen."

"Genauso, Sir."

"Aber Mr. Fowler war ausdauernd, wie ein guter Seemann sein soll, er belagerte das Haus, traf sich mit Ihnen und machte Ihnen durch gewisse Argumente - goldhaltige oder andere - klar, daß Ihre Interessen mit den seinen übereinstimmen."

"Mr. Fowler ist ein sehr freundlicher und freigebiger Gentleman", sagte Mrs. Toller heiter. "Und auf diese Weise konnte er es einrichten, daß sich Ihr Mann nicht über Mangel an Alkohol zu beklagen brauchte und eine Leiter dastand, als die Herrschaft das Haus verlassen hatte."

"Sie haben's begriffen, Sir, genau so ist es passiert."

"Wir müssen uns bei Ihnen entschuldigen, Mrs. Toller", sagte Holmes, "denn sie haben aufgeklärt, was noch rätselhaft war. Und da kommen der Landarzt und Mrs. Rucastle. Ich denke, Watson, wir begleiten Miss Hunter nach Winchester, zumal mir unser locus standi nun ziemlich zweifelhaft geworden zu sein scheint."

Und so war denn das Geheimnis des düsteren Hauses mit den Blutbuchen vor der Tür gelüftet. Mr. Rucastle überlebte, blieb aber ein gebrochener Mann, der nur mit der Hilfe seiner ihm ergebenen Frau existieren konnte. Sie wohnen noch mit ihren alten Dienstboten zusammen, die wahrscheinlich so viel über Rucastles früheres Leben wissen, daß er es schwierig findet, sich von ihnen zu trennen. Mr. Powler und Miss Rucastle heirateten mit Sondererlaubnis am Tag nach ihrer Flucht in Southampton und der Mann bekleidet nun ein Regierungsamt auf der Insel Mauritius. Was Miss Violet Hunter angeht, so hat Holmes - eher zu meiner Enttäuschung - an ihr kein Interesse mehr bekundet, nachdem das Problem, in dessen Mittelpunkt sie stand, gelöst war. Sie ist jetzt Vorsteherin einer Schule in Walsall, wo ihr meines Wissens bemerkenswerter Erfolg zuteil geworden ist.

 

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